von Michael Dick
(aus der Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum 2008)
Nachdem am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, mussten die so sehr herbeigesehnten Sommerferien abgebrochen werden, mussten die verreisten Schüler, Lehrer und Eltern nach Landau zurückkehren. In der südpfälzischen Stadt nahe der französischen Grenze erlebten die Menschen ein hektisches Leben, denn vom ersten Mobilmachungstag an (2. August 1914) bereitete sich Landau auf den „Völkerkrieg“ vor. Über mehrere Wochen hinweg liefen „hundert Militärtransportzüge und noch mehr … Tag für Tag in unserem Ostbahnhofe ein und aus“.
Anstelle in der Schule zu erscheinen um zu lernen, beschäftigten sich Schüler und Lehrer mit Hilfeleistungen in der Stadt. Viele Schüler boten während der Kriegsjahre ihre Hilfe bei der Verpflegungsstelle am Bahnhof an, welche für die in den Krieg ziehenden Soldaten gedacht war, später auch bei der Ernte auf den Feldern, oder im Durcheinander beim Aufbau eines mit 1700 Betten ausgestatteten Reservelazaretts. Dementsprechend war die Begeisterung, sich für den Krieg einzusetzen, zunächst groß und das Interesse an der Schule gering. Das Schulgebäude wurde von Truppen besetzt und über längere Zeit teilweise als Lazarett genutzt. Am 31.08.1914 fand eine Lehrerratssitzung statt, bei der die Wiederaufnahme des Unterrichts beschlossen wurde. Jedoch stand die Frage des Unterrichtsortes offen. Über alle Kriegsjahre hinweg gab es Probleme mit der Unterbringung der Klassen. Im Schuljahr 1917/1918 fand Unterricht am „Kleinen Platz“ in der Theaterstraße 8 statt, in der Landwirtschaftlichen Winterschule im „Deutschen Tor“, im Hotel „Schwan“, im Protestantischen „Missionssaal“ in der Schützengasse und im Gasthaus zum „Eichbaum" (Max-Joseph-Platz). Bis zu sieben verschiedene Räume wurden unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Daneben belastete auch der Kriegseinsatz von Lehrkräften den Schuldienst.
Im Vergleich zur Vorkriegszeit wurde der Sportunterricht sehr erfolg- und umfangreich durchgeführt. Der Wehrkraftverein organisierte viele Sportveranstaltungen, die von den Schülern meist gut besucht waren, und er unterstützte Weihnachtsfeiern und Wanderungen. Die meisten Schüler beteiligten sich ab ihrem 16. Lebensjahr an den Übungen der Landsturmriege, welche an Sonntagen stattfanden.
Bis zum 1. Juni 1915 hatten sich 76 Schüler als Kriegsfreiwillige gemeldet, von denen 64 im Feld eingesetzt wurden; davon wurden 20 verwundet und 6 vermisst; 7 waren gefallen und einer wurde gefangen genommen. 13 der Kriegsfreiwilligen wurden befördert. Am Ende des Krieges zählte man dann insgesamt 68 gefallene ehemalige Schüler. Für sie wurde 1922 eine von Professor Kindler in München „künstlerisch erstellte Gedenktafel“ in einer „erhebenden Gedenkfeier“ im Schulgebäude angebracht.
Im Schuljahr 1914/1915 wurde ein Spielnachmittag eingeführt; „alle Schüler waren zur Teilnahme an den Veranstaltungen desselben schulordnungsgemäß verpflichtet“. Neben den Veranstaltungen des Wehrkraftvereins besuchte die Schule im Sommer auch die städtische Schwimmanstalt und richtete für die dritte Klasse wieder einen „Schwimmkurs als Wahlfach“ ein.
Trotz des Krieges fanden auch im Schuljahr 1914/1915 Gedenkfeiern, wie die anlässlich des 70. Geburtstages König Ludwigs III. sowie des 100. Geburtstages Bismarcks statt. Außerdem feierte man die „Vaterländische Frühlingsfeier“ am 18. Mai.
Die Schule wurde im Schuljahr 1914/1915 von 353 Schülern besucht, wobei während des Schuljahres 2 Schüler in die Schulgemeinschaft ein- und 33 austraten. Zum Schuljahresende wurden 172 Protestanten, 115 Katholiken und 35 Juden gezählt. 176 Einheimische und 146 Auswärtige besuchten die Schule.
Zur Anmeldung von neuen Schülern wurde während der Kriegsjahre neben dem letzten Zeugnis auch der Geburts- und Impfschein verlangt. Außerdem waren eine Aufnahmeprüfung und eine achtwöchige Probezeit an der Schule Voraussetzung für die endgültige Aufnahme. Beim Eintritt in die Schule sollten die Schüler das 9. Lebensjahr vollendet haben, jedoch sollten sie nicht älter als 12 Jahre sein. Eine Befreiung von der Schulgeldpflicht war durch Vorlegen eines amtlichen Vermögenszeugnisses möglich. Außerdem war die Unterbringung von auswärtigen Schülern in „Wohn- und Kosthäusern“ nach Zustimmung des Schulleiters möglich. Um den auswärtigen Schülern den Zugverkehr zur Schule und zurück zu ermöglichen, wurde 1915/1916 durch Abstimmung unter den Eltern (315 zu 28) die Unterrichtszeit entsprechend angepasst, was zur Folge hatte, dass die Schule nachmittags schon um 3 Uhr schließen musste.
Im Frühjahr 1916 enthüllten die Landauer ihr durch die Bürger finanziertes Kriegswahrzeichen vor der Stiftskirche. Auch die Realschule hatte eine Spende von 390 Mark zur Errichtung des Wahrzeichens beigetragen. Dargestellt war ein Krieger als „einfacher und schlichter Wehrmann“, der neben dem Opfersinn der Landauer auch das Bild des treuen, ehrenhaften Deutschen widerspiegeln sollte. Während des gesamten Krieges zeichneten die Realschüler darüber hinaus Kriegsanleihen, die sich bis 1918 auf die stolze Summe von über 114 000 Mark addierten.
Während des Krieges starben in Deutschland ca. eine dreiviertel Million Menschen an Kälte und Hunger. Auch die Landauer Realschüler litten unter den Entbehrungen. So gab es im Schuljahr 1916/1917 eine unterrichtsfreie Zeit vom 13. bis 17. Februar. In dieser Woche konnte kein Unterricht gehalten werden, weil es keinen Heizstoff für die Schulräume gab. Der versäumte Unterricht wurde im März und April zum Teil während der Osterferien nachgeholt. Die allgemeinen Lebensumstände auch in Landau hatten sich so sehr verschlechtert, dass die Weihnachtsfeier im Schuljahr 1916/1917 sehr spartanisch ablief. Alles was aufzutreiben war, wurde an die Front zu den ehemaligen „Wehrkraftjungen“ gesendet, während bei der eigenen Weihnachtsfeier in Landau „an Weihnachtgebäck, an Äpfeln und Nüssen, heuer die Tische leer blieben“.
Aufgrund des Krieges wurden vom 26. bis 31. März 1917 genauso wie im letzten Kriegsschuljahr 1918 Notklassenreifeprüfungen abgehalten. An den Abschlussprüfungen der VI. Klasse, jeweils im Juni, konnten nur noch wenige Schüler teilnehmen.
Am 11. November 1918 trat der Waffenstillstand in Kraft, und am 1. Dezember, noch während der Revolution, rückten die Franzosen in Landau ein. Auch in der ehemaligen Festungsstadt hatte sich ein „Arbeiter- und Soldatenrat“ gebildet, und am selben Tag, als die Franzosen Landau besetzten, erließ das Kultusministerium in München eine Entschließung „die Errichtung von Schülerausschüssen und Schülerversammlungen“ betreffend. Am 12. Januar 1919 wurden die Schüler der V. und VI. Klassen darüber belehrt, so dass sie zwei Tage später einen „Schülerausschuss“ wählen konnten. Die Einübung in Demokratie – ein absoluter Bruch mit dem vorangegangenen Obrigkeitsstaat – währte allerdings nicht lange. „Nach Verlauf von 2 Monaten wurde der Schülerausschuss wieder aufgehoben, da der Herr Officier controleur des affaires civiles allemandes“ die sofortige Auflösung des Rats verfügte.
Nach der Demobilisierung der deutschen Truppen kehrten fünf Lehrer, die Kriegsdienst geleistet hatten, zurück. Der Schulbetrieb wurde unter der Leitung von Dr. Bertololy wieder aufgenommen.
Von 1920 bis 1934 stand (Ober-)Studiendirektor Heinrich Becker der Schule vor. In seine Amtszeit fiel ab 1928 der Ausbau zur Oberrealschule. Bis 1930 wurden sukzessive die Oberstufenklassen aufgebaut, so dass die Schule im Februar/März 1931, mitten in der Weltwirtschaftskrise, zum ersten Mal eine Reifeprüfung durchführen konnte. Von den 34 Abiturienten beabsichtigten 19, ein fachwissenschaftliches Studium aufzunehmen, 6 wollten Lehrer werden, ebenfalls 6 strebten eine Beamtenlaufbahn an und 3 waren noch unentschlossen.
Betrachtet man die soziale Herkunft der Schüler, so stellte die Oberrealschule eine neue Möglichkeit gesellschaftlichen Aufstiegs dar: Die größte Gruppe bildeten jene Schüler, deren Väter im Handwerk arbeiteten, danach folgten diejenigen im Öffentlichen Dienst, anschließend der Handel sowie weitere selbstständige Berufe. In der von Landwirtschaft und Weinbau geprägten Region Landaus mit Umgebung belegte der agrarische Sektor nur den fünften Platz in der Rangliste. Darauf folgten Arbeiter und Akademiker. Die wenigsten Schüler hatten Väter, die als Berufsangabe „Tagelöhner“ oder „Rentner“ nannten. Einen ungewöhnlichen Beruf gab jener Schüler an, dessen Vater als „Trainer“ tätig war.
Auch während der Weimarer Republik war die Schule, wenn man die Religionsgruppen betrachtet, am stärksten von Protestanten besucht. In den Jahren 1919/1920, 1930/1931 und 1931/1932 betrug die Anzahl an Protestanten sogar mehr als das Doppelte der Katholiken. Die Juden stellten weit weniger Schüler als die Katholiken, durchschnittlich etwa 5 % bis 6 %. Zum Beispiel besuchten im Schuljahr 1918/1919 207 Protestanten, 105 Katholiken und 26 Juden die Schule. Nur selten gab es „frei Religiöse“; von anderen Religionen ist während des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik keine Rede. Auch Schüler, welche aus dem Ausland kamen, wie Wolfgang Müller, der in Hongkong geboren wurde, Friedrich Müller, der in Nordamerika geboren wurde oder auch Tina Hofer, deren Geburtsort Bangkok war, gehörten einer christlichen Konfession an. Die meisten Schüler kamen aus Landau selbst. Viele Auswärtige wohnten in Annweiler und Umgebung, weniger Schüler kamen aus südöstlicher Richtung wie beispielsweise aus Kandel, einige stammten aus dem Südwesten, wie Mörzheim oder Ingenheim; am wenigsten wurde die Schule von Jugendlichen aus nordöstlicher Richtung, also Hochstadt oder Zeiskam, besucht.
Der Ausbau zur Oberrealschule brachte eine weitere grundlegende Neuerung mit sich: Ab 1928 wurde die bisherige reine Jungenschule auch von Mädchen besucht, allerdings erst ab der siebten Klasse, d. h. der neu eingerichteten Oberstufe. Unter den ersten Abiturienten waren 1931 dann immerhin fünf junge Frauen.