von Angelika Pottmeyer
(aus der Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum 2008)

 

Ebenso wie alle anderen Bereiche der deutschen Gesellschaft blieben auch die Schulen von der totalitären „braunen Revolution“, die mit dem 30. Januar 1933 einsetzte, nicht unberührt. Der bisherige Alltag an der Oberrealschule Landau ging weiter, während zugleich immer spürbarer Verhaltensweisen, Gesinnungen und Maßnahmen der Nationalsozialisten in das schulische Leben eindrangen und es mitbestimmten.

Drei Tage vor der Errichtung der Diktatur wurde die „Einberufung des Reichstages“ am 21. März 1933 „würdig begangen“. Zunächst besuchten Lehrer und Schüler den Gottesdienst, dann „fand im Zeichensaal der Anstalt, zu dessen Schmückung die Fahnen und Farben Schwarz-Weiß-Rot und Weiß-Blau und die Hackenkreuzfahne [sic!] verwendet waren, eine erhebende vaterländische Feier statt“. Das Schulorchester musizierte, anschließend hielt Schulleiter Becker „eine Ansprache, in der er auf die große Bedeutung des Tages als auf den Geburtstag des 3. Reiches hinwies. Die Feier schloß mit dem Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Unterricht fand an diesem Tage nicht statt.“ Zum Ende des ersten unter nationalsozialistischer Herrschaft abgelaufenen Schuljahrs 1933/34 besuchten 313 Schüler, darunter 17 Mädchen, die Schule. Während des Schuljahres hatte man 16 Ab- und 5 Zugänge verzeichnet, so dass die anfängliche Schülergesamtzahl gesunken war. Die meisten Schüler, 174 an der Zahl, kamen nicht aus Landau selbst, sondern stammten aus Dörfern beziehungsweise Städten im näheren Umkreis. In Landau selbst lebten 139 Schüler (44 %), in der Gegend AlbersweiIer/AnnweiIer etwa ein Achtel. Danach folgte der Nordosten (Edesheim, Edenkoben) mit ungefähr 10 %, während der Südwesten (Billigheim, Ingenheim) und der Südosten (Herxheim, Rülzheim) relativ wenige Schüler in die Oberrealschule nach Landau schickten. Acht Schüler waren im Ausland geboren.

In religiöser Hinsicht setzte sich die Schülerzahl wie folgt zusammen: 206 Protestanten (65,8 %), 97 Katholiken (31 %), 9 Juden (2,9 %) sowie „ein Freireligiöser“.

Bis zu seiner krankheitsbedingten Pensionierung im Februar 1934 stand die Schule unter der Leitung des aus Birkweiler stammenden Oberstudiendirektors Heinrich Becker, auf ihn folgte Dr. Karl Petri, Lehrer für Mathematik und Physik. An der Schule waren 21 „Lehrer im Hauptamte“ tätig, darunter 7 Studienprofessoren und 10 Studienräte, sowie 6 Studienassessoren „zur Aushilfe“ und 8 nebenamtliche Lehrer. Zum letzten Mal in der Lehrerliste stand – nach 40 Jahren ununterbrochener Tätigkeit – „für israelitische Religionslehre“ Bezirksrabbiner Dr. Berthold Einstein, der am 10. Mai 1894 seinen Lehrauftrag begonnen hatte. Für ihn gab es keinen Nachfolger an der Schule. 1934 wurde auch zum letzten Mal im schriftlichen Abitur das Fach Israelitische Religionslehre geprüft; das Thema lautete: „Sünde und Buße“.

Damals gab es dieselben Schulfächer wie heute auch: Deutsch, Mathematik, Englisch, Religion, Zeichnen, Physik, Chemie, Französisch. Es war aber auch möglich, zusätzliche freiwillige Fächer zu wählen: Latein (das 15 der 17 Mädchen besuchten), Wirtschaftslehre (72 Schüler), Technisches Zeichnen, Kurzschrift (100 Schüler), Gesangs- und Musikunterricht (128 bzw. 113 Schüler).

Unter der Überschrift „Geländesport“ wurde in diesem Schuljahr erstmals im Turnunterricht „der Schulung im Gelände erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt“. Einige Schüler, „die als Zugführer, Gruppenführer und stellv. Gruppenführer in Aussicht gewonnen“ waren, wurden eigens ausgebildet. Dem Jahresbericht 1933/34 zufolge wollte man dadurch eine „Führerschulung“ erreichen. „Alle Lehrer der Anstalt erklärten sich bereit, bei der Durchführung … in entsprechender Weise mitzuarbeiten.“ Die Ausbildung im Geländesport wurde „theoretisch im Schulsaal" und mindestens zwei Stunden pro Woche praktisch gelehrt. Dabei lagen die Schwerpunkte beim „Zurechtfinden im Gelände“, bei der „Erkundung … gegnerischer Stellungen“ und bei den „Meldungen über gemachte Beobachtungen … durch den eigenen Spähtrupp“. Es wurde auch das Kleinkaliberschießen unterrichtet, das bei den Schülern auf eine eifrige Beteiligung stieß. Hierfür wurden „3 Wehrsportbüchsen samt Zubehör“ und Munition angeschafft. Ein Lehrer stellte sein „Wehrsport-Luftgewehr“ und eine Landauer Waffenhandlung ihre Schießanlage kostenlos zur Verfügung. „Auch einzelne Lehrer“ haben an der Ausbildung „teilgenommen und während der Weihnachtsferien sich in der Schießfertigkeit geübt und weitergebildet“.

Im Fach Deutsch orientierte man sich im Schuljahr 1933/34 einerseits weiterhin an klassischem „Lesestoff“ wie Schillers „Lied von der Glocke“ oder Goethes „Hermann und Dorothea“. Andererseits las man aber in den höheren Klassen über den „Geist des Arbeitsdienstes“, in der 9. Klasse dann auch „Die Reden des Führers aus dem Jahre 1933“ und einzelne Kapitel aus Hitlers „Mein Kampf“. Unter den Schul- und Hausaufgaben waren Themen wie „Horst Wessel, ein Vorbild und Held der deutschen Jugend“, „Volk ohne Raum“ oder „Der Pfälzer als Schöpfer seiner Kulturlandschaft“ zu bearbeiten.

Unter großer Begeisterung und mit beflaggten Häusern wurde im Jahr 1933 das 100-jährige Bestehen der Oberrealschule Landau gefeiert. Dazu veranstaltete man am 15. Juli einen Begrüßungsabend, an dem viele Ehemalige teilnahmen und durch den Turnverein, „die herzerquickenden Vorträge des ‚Bellemer Heiner‘ und die Musik der SA-Kapelle" unterhalten wurden. Der Zweck der Feier bestand hauptsächlich darin, die freundschaftlichen Beziehungen der Ehemaligen untereinander zu pflegen.

In diesem Schuljahr fanden insgesamt 10 politische Feiern statt, wie zum Beispiel am 22. September, an dem der Ministerpräsident zu Besuch kam. Am 10. November wurde den Schülern die Möglichkeit geboten, einer Rede des Führers durch aufgestellte Lautsprecher zu hören. „Die ganze Anstalt lauschte seinen Worten.“

Das ganze Jahr hindurch hatte die Schule unter Raummangel zu leiden, was dazu führte, dass mehrere Klassen außerhalb des Schulgebäudes, in der gewerblichen Fortbildungsschule und in der Kommandantur, untergebracht werden mussten.

In den folgenden Jahren bis in den Zweiten Weltkrieg hinein war immer eine Gesamtschülerzahl von mehr als 300 Schülern, 1939/40 sogar über 400, zu verzeichnen, wobei es während der Schuljahre immer mehr Ab- als Zugänge gab. Die Schule besuchten circa 95 % Jungen und 5 % Mädchen. Die meisten dieser Schüler waren Protestanten (etwa 60 %), die zweitgrößte Gruppe waren Katholiken (etwa 35 %), und bis zum Jahresbericht 1938/39 wurden auch Juden aufgeführt. Die letzten fünf, in ihrer Religionszugehörigkeit als „isr.“ bezeichneten Schüler, mussten eine Woche nach der „Reichskristallnacht“ die Schule verlassen; im Jahresbericht stand „ausgetr. 16. 11. 38“.

Im Schuljahr 1934/35 wurde die 5-Tage-Schulwoche eingeführt mit je 6 Stunden zu je 45 Minuten pro Tag. Doch schon 1937 wurde dieses System wieder aufgehoben, die neunklassige Oberrealschule wurde in eine achtklassige Oberschule umgewandelt. Deswegen war es auch notwendig, den Schulstoff von zwei Jahren in einem zusammenzufassen. Dies führte zu langen Schultagen und darüber hinaus auch noch zu Unterricht an Samstagen.

„Die innere und äußere Umgestaltung des höheren Schulwesens (brachte) eine Reihe von Erlassen“:

  • In der 1. Klasse trat Englisch an die Stelle von Französisch als erste Fremdsprache.
  • Zum ersten Mal wurde der Abschluss der Mittleren Reife schon nach der 5. Klasse erteilt.
  • Die Stundenzahl des Geschichts- und Deutschunterrichts wurde auf Kosten von Mathematik und Physik erhöht.
  • Ab der 6. Klasse wurde zusätzlich zu dem Unterrichtsfach Naturkunde noch eine Stunde  Vererbungslehre und Rassenkunde gelehrt.
  • „Neben die zielbewußte Pflege seelisch-charakterlicher Werte und die Steigerung der geistigen Fähigkeiten trat voll gleichberechtigt die körperliche Ertüchtigung.“
  • In allen Klassen wurde eine 3. Turnstunde eingeführt.

Immer wieder wurden zu aktuellen Anlässen nationalsozialistische Feierstunden oder Feiertage eingeführt. Eine zentrale Position hatte die alljährliche Feierstunde an Hitlers Geburtstag am 20. April. Im Unterricht wurden die Schüler auch vom Reichsluftschutz zu dem Thema „Angriff & Abwehr“ ausgebildet. Dazu gab es 1936/37 passend eine Arbeitsgemeinschaft für Flugwissenschaften, die an der Schule jedoch keinen allzu großen Zuspruch fand. Anders war das bei den freiwilligen Fächern wie „Kurzschrift“ oder „Wirtschaftslehre“. Die Schul- und Hausaufgaben haben Jahr für Jahr deutlicher nationalsozialistische Züge angenommen. Aufgabenstellungen wie „Was verdankt die Jugend Adolf Hitler, und welche Aufgaben erwachsen ihr daraus?“ kamen immer häufiger vor. Die zahlreichen Änderungen und Eingriffe von außen riefen immer mehr „eine ständige Unruhe hervor, die den Leistungsstand rasch sinken ließ“.

Schon im November 1935 waren „96 % sämtlicher Schüler in nationalsozialistischen Jugendorganisationen tätig“, und die Schule erhielt die Berechtigung, auf dem Gebäude „das Zeichen der jungen Nation, die Hitler-Jugend-Fahne, aufzuziehen. Die feierliche Flaggenhissung erfolgte zusammen mit dem hum. Gymnasium am 24. Jan. 1936.“

Schließlich wurde aus den kriegerischen Reden und völkischen Unterrichtseinheiten, aus „Geländesport“ und Waffenübung blutiger Ernst. Unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte im August 1939 die Wehrmacht das Schulgebäude, anschließend benutzte es die Organisation Todt. Ein Teil der Lehrer wurde einberufen, Klassen wurden zusammengelegt, Unterricht gekürzt. Vom September 1941 bis Oktober 1944 konnte die Oberrealschule Räume des Gymnasiums mitbenutzen, das in dieser Zeit im Nordring ausgelagert war. Ab 1942/43 beeinträchtigten die zunehmende Zahl der Fliegeralarme und die Probleme der Zugverbindungen den Schulbetrieb. 1943/44 wurden mehrere Schülerjahrgänge als Luftwaffenhelfer bzw. zu Schanzarbeiten eingezogen. Im Herbst 1944 rückte der Krieg immer näher, jede Klasse konnte nur noch an 3 Tagen à 3 Stunden unterrichtet werden. Am 26./27. Dezember fügte ein Artillerietreffer dem Schulgebäude einen ersten größeren Schaden zu, die schwere Bombardierung Landaus am 16. März 1945 beschädigte es so stark, dass Unterricht nicht mehr möglich war. Im Zweiten Weltkrieg verlor die Schule „drei Lehrkräfte auf dem Schlachtfelde“, die Zahl der gefallenen Schüler konnte auch ein Jahrzehnt nach Kriegsende nicht genau ermittelt werden.